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Interview Phoenix Contact GmbH & Co.KG

3 Fragen an Frank Stührenberg, CEO

„All Electric Society.
Was bedeutet die Abkehr von fossilen Energieträgern für Automation und Robotik?“

Der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern wird zu einem weltweit signifikanten Strommehrverbrauch und damit verbunden zu einem gewaltigen Transformationsprozess führen. Von Komponenten, Stromspeichern bis hin zu Windkraftanlagen ¬– es werden gewaltige Märkte auch für die Automatisierungsbranche entstehen. Wie bewerten Sie das Marktpotenzial aus Ihrer Sicht und wo sind die Potenziale am größten?

Grundsätzlich sehen wir das Marktpotenzial für Phoenix Contact als groß an. Und dabei geht es nicht nur um das Erzeugen regenerativer Energien sowie deren Speicherung und Transport. Das möglicherweise größte Potenzial steckt im effizienten Umgang mit vorzugsweise regenerativ generierter Energie. Der Schlüssel zur Energiewende liegt in der Sektorenkopplung, nämlich dem ganzheitlich betrachteten Umgang von Energieerzeugern und -verbrauchern. Die dafür notwendigen Handlungsfelder sind die Elektrifizierung, Vernetzung und Automatisierung. Damit ist gemeint, dass alle verbrauchenden Sektoren möglichst vollständig elektrifiziert werden. Dann schaffen wir mit einer systemgrenzenfreien Vernetzung die Voraussetzung für die umfassende Digitalisierung sämtlicher Bereiche. Daten können erfasst, analysiert und in offenen und standardisierten Automatisierungslösungen verwendet werden, um Energieflüsse nachhaltig und effizient zu steuern. Allein diese Aufgaben bergen ein, wie Sie sagen, gewaltiges Potenzial für unsere Industrie. Bestand im Brownfield muss für die Sektorenkopplung ertüchtigt werden, indem man beispielsweise Gebäude und Produktion koppelt - immer mit dem Ziel, Energie nicht zu verschwenden und diese zur richtigen Zeit am richtigen Ort bereitzustellen.

Aber natürlich geht es auch darum, so viel regenerative Energien wie möglich zu erzeugen. Laut der Studie „World Energy Outlook 2023“ müssen bis 2050 zum Erreichen unserer Klimaziele weltweit rund 80.000 zusätzliche Terrawattstunden regenerative Energie generiert werden. Das entspricht beispielweise etwa 1,6 Millionen Off-Shore-Windkraftanlagen oder 20.000 Solarparks mit einer durchschnittlichen Größe von 40 km². Das Stromnetz muss bis 2030 um 20% erweitert und um 20% erneuert werden. Daraus ergeben sich rund 11 Millionen Schaltschränke. Das sind Zahlen, die mich für unseren Markt sehr positiv stimmen.

In der Vergangenheit hat Europa nur sehr eingeschränkt von neuen Märkten im Bereich der Green Technologies profitiert. Man denke nur an die Bereiche Photovoltaik oder Akkuproduktion für E-Fahrzeuge, in denen Asien tonangebend ist. Welche Rolle wird die europäische Industrie Ihrer Meinung nach bei der Transformation hin zu einer Energieversorgung auf regenerativer Basis spielen?

Ich würde das nicht so absolut sehen. Auch wenn aktuell der größte Teil der Solarpanels in Asien produziert wird, liegt immer noch ein bedeutender Teil der Wertschöpfung in Europa. Steuerungen, Wechselrichter und Leistungshalbleiter, um nur einige wichtige Technologiefelder zu nennen, sind in Europa verortet. Dazu kommen, wie eben erwähnt, klassische Transformationstechnologien, zum Beispiel deutsche ebenso wie europäische Digitalisierungskompetenzen, aber auch Automatisierungstechnik.

Beispielsweise ist für unsere Industrie die Sicherheit der Netzwerke und damit das Thema Cyber Security von existenzieller Bedeutung. Es müssen sowohl die IT- ebenso wie die OT-Systeme - also die vernetzte und automatisierte Produktionsinfrastruktur - vor Angriffen aller Art geschützt werden. Und das ist doch genau unsere Domaine, maßgeschneiderte Fertigungsumgebungen wirksam abzusichern, nicht zuletzt, weil etablierten IT-Security-Anbietern häufig die Detailexpertise im OT-Bereich fehlt.

Das alles sind Technologie-Handlungsfelder, die, wie Sie sagten, gewaltiges Potenzial haben und folglich ein großes Wachstumsfeld darstellen. Und das Gute ist: Es liegt in unseren Händen.

In Ihrem All Electric Society Park setzen Sie bereits ausschließlich auf regenerative Energiequellen und die Sektorenkopplung ist hier gelebte Realität. Welche Schlüsse lassen sich aus diesem Leuchtturmprojekt ableiten? Wird unsere Gesellschaft innerhalb der kommenden Jahrzehnte die fossilen Energieträger tatsächlich substituieren können?

Selbst wenn schon, wie erwähnt, eine Vielzahl notwendiger Technologien und Kompetenzen in unseren Händen liegen, bin ich fest davon überzeugt, dass wir noch zahlreiche disruptive Veränderungen erleben werden, die der Energiewende weiteren Schwung verleihen. Man muss sich nur an die vergangenen Jahrzehnte erinnern, beispielsweise wie mit damals innovativen Speichertechnologien Massenspeicher möglich wurden, die die Voraussetzung für die Digitalisierung waren. Oder die exponentielle Vergrößerung der Bandbreite für mobile Datenanwendungen.

Der All Electric Society Park ist ein Leuchtturmprojekt, das wirkungsvoll und auf eine unterhaltsame Weise verdeutlicht, wie die Energiewende funktioniert. Es zeigt auch, dass eine All Electric Society eine für unsere Maßstäbe lebenswerte Welt darstellt, in der Verzicht nicht zentraler Bestandteil ist. Wenn der All Electric Society Park ein Real Case ist, an den zum Beispiel Produktionsanlagen angeschlossen und eingebunden sind, zeigt ein anderes Fertigungsgebäude auf unserem Campus - das neue Gebäude 60 -, wie unter globalen Wettbewerbsbedingungen in einer energiepositiven Umgebung produziert werden kann. Das Gebäude beherbergt Maschinenbaueinheiten und unseren automatisierten Schaltschrankbau. Das Herzstück bildet eine PV-Anlage, die unter anderem eine Wärmepumpe zur Wärmegewinnung mit Energie versorgt. Ein Eisspeicher dient als Energiequelle zum Heizen und Kühlen der Räume. Außerdem wird neben einem Gleichstromnetz für die Beleuchtung sowie Automatisierungs- und Produktionstechnik auch die bidirektionale Ladeinfrastruktur für E-Autos mit dem PV-Strom beliefert. Die übrige PV-Leistung wird per Umwandlung in Wasserstoff gespeichert. Ein übergeordnetes Energieleit- und Managementsystem steuert und überwacht alle Energieflüsse.

Mit diesen Leuchtturmprojekten unterstreicht Phoenix Contact eindrücklich, dass die vollständige Energiewende nicht nur möglich ist, sondern bereits heute im Greenfield stattfinden kann.